Deutscher Ex-Bundespräsident Herzog für ernsthafte Diskussion über Mehrheitswahlrecht

Der frühere deutsche Bundespräsident und ehemalige Präsident des deutschen Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog plädierte in einem Essay in der Süddeutschen Zeitung aufgrund der politischen Lage in Deutschland für eine seriöse Diskussion über die Einführung eines Mehrheitswahlrechtes, wobei er eine Präferenz für das französische System durchblicken ließ.

Auszüge aus dem Essay von Roman Herzog
"Eine fundamentale Veränderung unseres Regierungssystems", Süddeutsche Zeitung, 6. März 2008

"Bei diesen fast idyllischen Verhältnissen wird es schwerlich bleiben, wenn sich die Schrumpfung der Volksparteien fortsetzt und sich einmal vielleicht sogar sechs Parteien im Bundestag eingerichtet haben.
Schon die Entscheidung über die Person des Bundeskanzlers wird dann immer weniger in den Wahlkabinen fallen, und das wird umso wahrscheinlicher sein, je mehr Koalitionsmöglichkeiten sich anbieten. Zugleich wird es immer schwerer werden, stabile absolute Mehrheiten zu bilden und zusammenzuhalten. Im Klartext: Die Gefahr von Minderheitsregierungen wird wachsen, sei es, dass von Anfang an keine Koalition mit absoluter Mehrheit zustande kommt, sei es, dass eine solche Koalition auseinanderfällt und nur der Kanzler in seinem Sessel "kleben" bleibt, weil auch keine andere Kanzlerwahl gelingt.
(...)
Übergang zu einem Mehrheitswahlrecht?
In solchen Situationen ertönt in Deutschland mit schöner Regelmäßigkeit der Ruf nach dem Mehrheitswahlrecht, das heißt im Klartext: nach einer künstlichen Verringerung der Parteienzahl durch Veränderungen im Wahlsystem. Ob das gegenwärtig der wirkliche Königsweg wäre, wird man bezweifeln dürfen. Die kleinen Parteien, also FDP, Grüne und Linke, würden ihrer faktischen Eliminierung wohl kaum zustimmen. Sie müsste also von Union und SPD allein durchgeboxt werden, und für die Wähler würde das so aussehen, als ob die beiden Großen sich durch einen legislativen Trick nur unliebsamer Kritiker und Konkurrenten entledigen wollten. Dem Vertrauen in unser Verfassungssystem würde das, vorsichtig formuliert, nicht gut tun.
Ärgerlich ist an diesem Teil der öffentlichen Diskussion, dass zwar viele das Mehrheitswahlrecht fordern, dass aber kaum jemand sagt, welches Mehrheitswahlrecht er denn eigentlich meint.
(...)
Notwendig ist zumindest eine breite und ernsthafte Debatte, damit möglichst jeder Wähler die Folgen seines Wahlverhaltens abschätzen kann."

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